Interview

Mit 500 Dollar und einem VW Käfer ging es los

Von Doris Kinkel-Schlachter

Manfred Kerschgens hat wirklich allen Grund zum Jubeln: Jüngst feierte der Unternehmer in der vierten Generation sein 50. Betriebsjubiläum – ein halbes Jahrhundert. Eine Zeit, in der viel passiert ist und in der sich der Familienbetrieb Kerschgens von einem kleinen, aber feinen Stahlhändler zu einem international bekannten Unternehmen entwickelt hat – nicht zuletzt dank Manfred Kerschgens.

Firmengebäuge Kerschgens

Herr Kerschgens, was hat es mit dem Elefanten auf sich? Er ist im Firmenlogo, er hängt und steht in Ihrem Büro in allen Farben und Formen.

Manfred Kerschgens: Was für Esso der Tiger im Tank war, ist für uns der Elefant. Wir haben vor vielen Jahren unsere Mitarbeiter gefragt, welches Tier am besten die Firma repräsentiert. Und da ist mehrheitlich für den Elefanten gestimmt worden.

Warum?

Kerschgens: Er steht für Beständigkeit, Stabilität und Stärke, so wie wir. Nächstes Jahr feiern wir unser 140-jähriges Bestehen, und auch der Elefant wird alt. Und: Wir haben ein breites Kreuz und sind in der Nähe, genauso wie der Dickhäuter. Persönlich mag ich dieses Tier auch sehr!

Das Familienunternehmen besteht im 139. Jahr, und Sie feiern 50. Betriebsjubiläum – da mussten Sie sicherlich einige Male ein breites Kreuz haben, oder?

Kerschgens: Natürlich, in den Jahren ist viel passiert, es gab Höhen und Tiefen. Letzteres war besonders vor fünf Jahren. Die Krise ging zwar 2008 schon los, für uns war aber 2010 das schwierigste Jahr. Wir sind aber gestärkt aus der Krise hervorgegangen. Wir haben stark investiert, etwa 13 Millionen Euro, und haben jetzt Europas modernsten Maschinenpark. Aber der wirkliche Grund, warum Kerschgens heute so erfolgreich ist, sind unsere Mitarbeiter. Die sind mit uns durch Dick und Dünn gegangen, also auch, als es um die Wurst ging. Da hat keiner gekniffen.

Wie haben Sie das geschafft?

Kerschgens: Mir war schon immer klar, dass ich viel bewegen kann. Aber ohne eine gut funktionierende Mannschaft im Rücken bin ich tot. Mein Vater und seine Schwester führten das Unternehmen nach dem Krieg. Meine Tante ist früh gestorben, mein Vater hat sich aus dem operativen Geschäft zurückgezogen und mich machen lassen. Ich stand von Anfang an für die Familientradition.

Was macht es denn aus, ein Familienunternehmen zu führen, welche Unterschiede gibt es beziehungsweise welche Werte sind wichtig?

Kerschgens: Eine demokratische Mitarbeiterführung und keine Top-Down-Orientierung. Die Mitarbeiter werden von vornherein mit einbezogen. Dann fallen Entscheidungen grundsätzlich auf breiter Basis. Wir haben 230 Mitarbeiter und keinen Betriebsrat, aber weiß Gott nicht, weil ich dagegen wäre, sondern weil es den Wunsch nach diesem offiziellen Mitbestimmungsorgan gar nicht gibt. Ich finde, auch das spricht für uns und vor allem für ein großes Vertrauen, das auf Gegenseitigkeit beruht. Ebenfalls ist es uns wichtig, unsere Mitarbeiter für Ideen und Ziele zu begeistern, die Leute zum Nachdenken und Mitentscheiden zu bewegen.

Können Sie ein Beispiel geben?

Kerschgens: Ja. Unsere Auszubildende Laura Bülles ist fertig, arbeitet zunächst im Sekretariat, möchte aber weiter Karriere machen. Das ermöglichen wir, sie geht auf Fortbildung, um danach in der Personalbuchhaltung Verantwortung zu übernehmen.

Wie viele Auszubildende haben Sie?

Kerschgens: 20. Das ist ein wichtiges Thema für uns. Wir holen die Leute selbst heran und bilden sie aus. Wir haben viele Eigengewächse im Unternehmen. Ich bin auch Prüfer im Ausschuss bei der IHK, weil es mir am Herzen liegt! Es macht mir Spaß, mit jungen Menschen zu arbeiten – man will ja auch ordentliche Mitarbeiter haben.

Sie haben bei der Stolberger Nacht der Ausbildung mitgemacht und sind verstärkt in der Öffentlichkeit wahrnehmbar. Sind Sie mit anderen Stolberger Betrieben vernetzt?

Kerschgens: Es gibt schon eine gewisse Vernetzung mit anderen Unternehmen. Richtung Stolberg werden wir unsere Öffentlichkeitsarbeit auf jeden Fall weiter forcieren. Bislang hatten wir keine Probleme, die Azubiplätze zu besetzen. Dieses Jahr war es etwas zäh. Aber deswegen entwickeln wir uns ständig weiter und betreiben nun eben auch mehr Öffentlichkeitsarbeit, in dem wir unsere Türen öffnen und beispielsweise Kooperationen mit Schulen eingehen.

Wie sah Ihr schulischer Werdegang aus?

Kerschgens: In der Schule bin ich spät wach geworden, aber mein Studium der Betriebswirtschaftslehre habe ich vorbildlich durchgezogen. 1960 habe ich es aufgenommen, 1965 bin ich in den Betrieb eingestiegen. Ein Jahr später wurde ich für ein praktisches Jahr in den USA beurlaubt. Das war eine sehr prägende Zeit, die beste Lehrzeit, weil man für sich verantwortlich ist und auf eigenen Füßen stehen muss. Das kannte ich vorher nicht, denn ich bin in einer wohl behüteten Familie aufgewachsen.

Was haben Sie in den USA gemacht?

Kerschgens: Ich hatte 500 Dollar als Startkapital und einen VW Käfer. Damit habe ich in der Autostadt Detroit am Detroit River im Lager eines Stahlhandels angefangen. Es war eisig kalt, ich bin schon nach vier Wochen rausgeflogen, ganz nach amerikanischer „Hire-and-Fire-Methode“ (kurzfristiges Einstellen und Entlassen, Anm. d. Red.). Unter Tränen habe ich mich wieder reingekämpft, eine zweite Chance bekommen und dort Karriere gemacht, indem ich vom Lager ins Büro aufgestiegen bin.

Sie sind trotzdem wieder nach Stolberg zurückgekehrt. Wie ging es dort weiter?

Kerschgens: Ich habe als Außendienstmitarbeiter für den Raum Stolberg/Düren wieder in der Firma gearbeitet, einen Vertreterbezirk im Niemandsland aufgebaut, in dem es noch keine Kerschgens-Kunden gab. Ich habe hart gearbeitet und bin oft spät nach Hause gekommen. Oft habe ich noch im Lager mitgeholfen, denn Kran fahren konnte ich schon in Amerika. Ich habe den Beruf von der Pike auf erlernt, kann alles. Somit ging der Aufstieg ziemlich schnell. 1970 wurde ich Mitglied der Geschäftsführung und 1985 Gesellschafter und Geschäftsführer der Kerschgens Stahlhandel GmbH. Ich habe einiges bewegen können, aber wie bereits erwähnt, mit einer gut aufgestellten hoch motivierten Mannschaft. Und gemeinsam mit Heinz Herbort, der 1984 ins Unternehmen eingetreten ist. Wir sind ein unschlagbares Team. Das 1876 gegründete Unternehmen hat sich von Anfang an auf den Stahlhandel konzentriert und seine Kompetenzen kontinuierlich erweitert. Heute liefern wir ins gesamte Rheinland, nach Rheinland-Pfalz, ins Saarland sowie ins Elsass, Belgien und Luxemburg. Einzelne Produktgruppen werden auch deutschlandweit und bis in angrenzende EU-Staaten vertrieben. Und wir verstehen uns heute als Dienstleister rund um Stahl, Edelstahl, NE-Metalle, Baustahl und Lochbleche. Unser Angebot an Werkstoffen, Anarbeitungsleistungen und Services ist eines der umfangreichsten in der gesamten Branche und reicht weit über das Angebot eines klassischen Großhandels hinaus.

Wie sieht die Zukunft aus? Sie sind 74, denken Sie da nicht so langsam über den Ruhestand nach?

Kerschgens: Was die weitere Zukunft betrifft, haben wir firmenintern eine Planung bis 2021 aufgestellt, danach muss auch die Nachfolge klar sein. Wenn Familie Herbort dann nachrückt, würde ich mich aus dem operativen Bereichen raus tun. Ich muss gesund bleiben und weiterhin Spaß daran haben – das natürlich vorausgesetzt! Ich erinnere nur an meinen Vater, der war bis zu seinem 90. Lebensjahr täglich im Unternehmen aktiv und ist bis dahin auch noch Auto gefahren, bis 98 hat er noch Rechnungen kontrolliert. Er ist 99 geworden.

Wie sind die Anteile des Unternehmens aufgeteilt?

Kerschgens: Ich halte 50 Prozent der Anteile, Heinz Herbort 25 und meine Vettern und Cousinen weitere 25 Prozent.

Das ist überschaubar und greifbar.

Kerschgens: Das ist mir auch wichtig. So eine Firma geben wir nicht in Konzernhände, das tue ich meinen Mitarbeitern nicht an. Kerschgens muss in Familienhand bleiben, und das ist auch so im Gesellschafterkreis abgesprochen. Ich kann doch jetzt nicht sagen, dass unsere Mitarbeiter unser wichtigstes Kapital sind und verkaufe sie später, da würde ich meinen Grundsätzen untreu werden. Der Name Kerschgens ist da nicht von großer Bedeutung. Wichtig dagegen ist es, einen Patron zu haben, der Haus und Hof führt, der Verantwortung übernimmt. So wie ein Familienvater, der guckt, dass alles zusammenbleibt. Oder modern ausgedrückt: Einer, der den „general overlook“ hat, also das Gesamte im Blick hat.

Was hat Sie 50 Jahre lang und bis heute angetrieben?

Kerschgens: Wenn ich etwas mache, dann mache ich es 100-prozentig. Sonst könnte ich es auch bleiben lassen! Das ist auch unsere Mission in der Firma.